Sind die Kommunen vorbereitet?
Ein Gastbeitrag von Reinhard (Riku) Vogt,
dem früheren Leiter der Hochwasserschutzzentrale Köln, für die Zeitschrift “Der Gemeinderat 04/21”
Starkregen, über die Ufer tretende Flüsse und Grundhochwasser: Diese Probleme treten durch den Klimawandel häufiger auf. Vorausschauende Bauplanung, Schutzwände und Notfallpläne können Katastrophen verhindern.
Die Hochwasser- und Starkregenvor-sorge ist für häufige Hochwasserereignisse teilweise vorhanden, doch oft schon für mittlere Ereignisse nicht ausreichend und nachhaltig. Auf extreme Niederschläge oder seltene Hochwasser sind die wenigsten Kommunen vorbereitet. Das Problembewusstsein der Städte und Gemeinden ist extrem unterschiedlich, Kenntnisse der Handlungsmöglichkeiten und ‑notwendigkeiten sind abhängig vom Grad der bisherigen Betroffenheit.
Dabei müsste sich doch endlich fachübergreifend durchsetzen, dass es einen generellen Schutz vor Starkregen und Flusshochwasser nicht gibt, es auch in scheinbar sicheren Gebieten zu Überflutungsschäden kommen kann und dass das grundhochwasserbedingte Risiko nicht zu unterschätzen ist. Die Klimaänderung führt zu deutlich häufigeren Ereignissen und extremeren Abflüssen. Aber nicht nur die häufigen Wetterkapriolen mit ergiebigen Starkniederschlägen, sondern auch anthropogene Eingriffe wie Begradigung und Kanalisierung von Bächen und Flüssen, die zunehmende Flächenversiegelung von Grundstücken sowie die Reduzierung wasserrückhaltender Grünflächen verursachen Hochwasser.
Dabei sind die Hochwasservorsorge und die notwendigen Maßnahmen bei einem guten Zusammenwirken der verschiedenen Fachgebiete in einer Kommune so einfach und oft mit wenig Aufwand und zusätzlichen Kosten erreichbar. Das Risikobewusstsein muss durch eine permanente, offene und interessante Risikokommunikation in allen Bereichen der Verwaltung, in den politischen Gremien und bei den Bürgern geweckt und am Leben gehalten werden. Viele historische Ereignisse oder Fast-Ereignisse sind schnell vergessen. Oft macht sich die „Hochwasserdemenz“ breit und man baut erneut in hochwassergefährdeten Gebieten.
GEFAHREN ERKENNEN
In vielen Bereichen der Flächen‑, Bau‑, Verhaltens- und Informationsvorsorge bis hin zum aktuellen Hochwassereinsatz müssen sich alle Akteure über die unterschiedlichsten Wege, Aktionen und Medien beteiligen. Grundlage für alle Vorsorge- und Schutzmaßnahmen sind Gefahrenkarten bei Flusshochwasser und Fließwegekarten für Starkregenabflüsse.
Die kommunale Bauleit- und Freiraumplanung muss alle gefährdeten Gebiete, auch die hinter Schutzanlagen, darstellen, bei jeglicher Planung das Thema Wasser berücksichtigen und für eine standortgerechte Flächen- und Bodennutzung sorgen. Natürliche Retentionsräume sind zu sichern, wiederherzustellen und von hochwassersensiblen Nutzungen und Bebauung freizuhalten. An Hochwasser oder Starkregen angepasste Bauweisen mit Erdgeschoss-Fußbodenhöhen deutlich über dem hundertjährigen Hochwasserereignis und Fenster- oder Türöffnungen mindestens 30 Zentimeter über dem Gelände sollten selbstverständlich sein.
Die Ausgestaltung, Bemessung und Art des notwendigen baulichen oder mobilen Hochwasserschutzes sollte sich grundsätzlich an den zu schützenden Nutzungen und dem Schadenspotenzial ausrichten. Grünflächen, Landwirtschaft, Sportanlagen und Kleingärten brauchen keinen oder nur geringen Schutz. Dagegen brauchen Krankenhäuser, Versorgungsanlagen, Inf-rastrukturanlagen, relevante Wirtschaftsbetriebe, Betriebe und Anlagen mit umweltgefährdenden Stoffen sehr viel Schutz. Bereiche, die zur Erhaltung der Infrastruktur notwendig sind oder von denen Um-weltkatastrophen ausgehen können, sollten mindestens für ein zweihundertjähriges Hochwasser geschützt sein. Die Bürger müssen von Anfang an in alle Überlegungen zum vorbeugenden Hochwasser- und Starkregenschutz eingebunden und an der Umsetzung aller Hochwasserschutzmaßnahmen beteiligt werden. So kann man ihre Interessen berücksichtigen und unnötige Bauverzögerungen durch Einsprüche und Klagen vermeiden. Potenziell Betroffene müssen mit der Gefährdung durch Starkregen, Grundhochwasser und Kanalrückstau vertraut sein, um entsprechend bauliche Eigenvorsorge und effektive Verhaltensvorsorge zu betreiben. Der „Hochwasser-Pass für Wohngebäude“ kann hier helfen.
JEMAND MUSS SICH KÜMMERN
Die Kommunen müssen Notfallpläne für häufige bis extreme Ereignisse erstellen und Warnung und Information im Ereignisfall bereitstellen. Bürgerinitiativen sind dabei wichtige Multiplikatoren und können eine positive Vermittlerrolle zwischen Verwaltung und Bürgern einnehmen. Sie können Risikobewusstsein und Hochwasservorsorge unterstützen sowie im Ereignisfall Nachbarschaftshilfe organisieren.
In den Gemeiden sollte zur ständigen fachübergreifenden wirksamen Vorsorge ein „Hochwasser-Kümmerer“ etabliert werden, der abflusswirksame Maßnahmen koordiniert, initiiert und durchzusetzt. Diese Stelle könnte die Alarmierung und Einsatzplanung optimieren und Bürgerinformationen über soziale Medien oder auf Infoveranstaltungen kommunizieren.
Da sich Hochwasser- und Sturzfluten nicht abschaffen lassen, sondern im Gegenteil voraussichtlich in den kommenden Jahren immer häufiger werden, könnte die auf Naturereignisse gut vorbereitete Gemeinde zukünftig ein Standortvorteil sein. Eine hohe Sensibilität und die Anpassung an Hochwasser sowie andere Naturkatastrophen könnten neben einer optimalen Problembewältigung und einer gewissen Katastrophenresistenz Bestandteil eines nachhaltigen kommunalen Leitbildes der Zukunft sein. Reinhard Vogt